Hallux valgus
Der Hallux valgus ist eine Fehlstellung, die den ersten Mittelfußknochen und die Großzehe (Hallux) und damit den ersten Strahl des Fußes betrifft. Dabei zeigt die Großzehe nicht nach vorn, sondern weicht in Valgusstellung nach außen, also in Richtung der anderen Zehen, ab. Gleichzeitig ist der mit der Großzehe gelenkig verbundene Mittelfußknochen (Os metatarsale I) häufig nach innen (zur Mittellinie des Körpers) verschoben und steht damit in Varusstellung. Dadurch tritt das Köpfchen des Mittelfußknochens stark hervor, was auch als Ballen und der Hallux valgus deshalb als Ballenzeh bezeichnet wird.
Es gibt verschiedene Formen des Hallux valgus. Am häufigsten ist der Hallux valgus mit einer Fehlstellung im Großzehengrundgelenk verbunden. Diese sog. Subluxation im Grundgelenk geht mit einer Verschiebung der Weichteile über dem Gelenk einher. Beim seltenen Hallux valgus interphalangeus handelt es sich um eine reine knöcherne Fehlstellung der Großzehenknochen ohne Verschiebung im Großzehengrundgelenk.
Der Hallux valgus ist weit mehr als ein kosmetisches Problem. Die unzureichende Belastungsfähigkeit des ersten Mittelfußknochens führt zu weitreichenden Folgen für den Fuß sowie für die Statik des gesamten Beines.
Wie macht sich ein Hallux valgus bemerkbar?
Zunächst macht sich ein Hallux valgus optisch bemerkbar. Je ausgeprägter die Fehlstellung, desto besser ist sie zu erkennen. Blickt man von oben auf den Fuß, ist die Großzehe stark abgeknickt und zeigt nach außen. Das Großzehengrundgelenk tritt an der Fußinnenseite als Ballen nach innen hervor.
Der Bereich über dem Großzehenballen ist von unterschiedlichen Hautveränderungen betroffen. Oft ist er gerötet und geschwollen. Es kommt zu Entzündungen und manchmal bricht die Haut auch an der hervorstehenden Stelle auf und es bildet sich ein Geschwür. Durch Druck und Reibung entwickeln sich häufig Hornhaut, Schwielen und Hühneraugen.
Der Hallux valgus führt auch zu Schmerzen, sowohl an der Druckstelle als auch im weiteren Verlauf im Bereich des Mittelfußknochens (Metatarsalgie). Festes und enges Schuhwerk kann oft gar nicht getragen werden.
Daneben ist die Dynamik des Fußes gestört und es kommt zu Funktionseinschränkungen. Die Großzehe ist weniger beweglich, in manchen Fällen sogar versteift. Vor allem das Abrollen des Fußes ist erschwert, was zu starken Problemen beim Gehen führt. Typisch ist im längeren Verlauf die Entwicklung einer Arthrose des Großzehengrundgelenks (Hallux rigidus).
Wie entsteht ein Hallux valgus?
Der Hallux valgus wird nicht durch eine Ursache allein hervorgerufen. Er entsteht aus der Summe von inneren und äußeren Faktoren, die zusammenwirken. Zu den inneren Faktoren gehören:
- Genetische Prädisposition. Die Anlage für einen Hallux valgus kann vererbt werden. Gene scheinen deshalb bei der Entstehung eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen.
- Fußfehlstellungen. Sowohl der Spreizfuß als auch ein zu langer erster Strahl begünstigen die Bildung eines Hallux valgus. Auch Fehlstellungen des Gelenks zwischen Mittelfuß und dem inneren Keilbein (Os cuneiforme I) können zu einer Mittelfußfehlstellung führen und den Fuß anfällig für die Bildung eines Hallux valgus machen. Gleiches gilt für ein fehlgestelltes Großzehengrundgelenk.
- Bandschwäche (Laxizität der Bänder). Geschwächte Bänder sind wahrscheinlich immer ein Teil der Hallux-valgus-Erkrankung. Dabei können die Bänder an der Fußwurzel ebenso betroffen sein wie die Bänder am Großzehengrundgelenk selbst.
- Rheumatische Erkrankungen. Sie können zu einer Degeneration und damit zur Verformung der Fußknochen führen, was einem Hallux valgus Vorschub leistet.
- Muskuläre Dysbalancen und neurologische Erkrankungen. Durch eine gestörte Dynamik im Bereich des Fußes drohen Fehlstellungen und damit auch ein Hallux valgus.
Schuhwerk und Gene
Der Hallux valgus ist eine häufige Erkrankung, die vor allem in Kulturen, die Schuhe tragen, beobachtet wird. Betroffen sind in erster Linie Frauen. Leiden Männer darunter, sind sie öfter durch genetische Faktoren belastet. Es gibt aber auch ganze Familien, die an Hallux valgus erkranken und in denen über Generationen hinweg immer wieder Mitglieder eine solche Fehlstellung entwickeln.
Äußere Faktoren haben ebenfalls einen Einfluss auf die Entwicklung eines Ballenzehs. An erster Stelle steht das Tragen von falschem Schuhwerk. Enge, im Zehenbereich spitz zulaufende Schuhe drücken die Zehen zusammen und bringen die Großzehe schon von außen in eine ungünstige Form. Hohe Absätze belasten den Vorfuß zusätzlich. Berufe mit langem Stehen oder Gehen, vor allem in ungünstigem Schuhwerk, können die Erkrankung ebenfalls vorantreiben. Gleiches gilt für Sportarten, die den Vorfuß belasten, wie z. B. Ballett oder Fußball.
Weitere äußere Faktoren sind Unfallverletzungen mit Schädigung der Gelenkkapsel der Großzehe oder Restfehlstellung am Mittelfuß oder der Großzehe.
Hallux valgus und seine Auswirkungen
Der Hallux valgus ist keine reine Großzehenfehlstellung. Er hat eine weitreichende Wirkung auf die Belastungsverhältnisse des Mittelfußes und der Kleinzehen. Durch seine besondere Anatomie spielt das Großzehengrundgelenk eine spezielle Rolle für Mittelfußschmerzen.
Diese hängen beim Hallux valgus im Wesentlichen mit einer Schwäche (medizinisch "Insuffizienz") des ersten Strahles (Mittelfußknochen I und Großzehe) zusammen. Normalerweise trägt der erste Mittelfußknochen beim Abrollen 80 % der Gewichtsbelastung. Bei einer Fehlstellung wie dem Hallux valgus wird dieser Anteil geringer. Beträgt er nur noch 50 %, müssen sich die benachbarten Mittelfußknochen die Belastung aufteilen – wobei der direkte Nachbar (Mittelfußknochen II) den größten Teil davon übernimmt. Da Gelenkkapseln, Bänder, Sehnen und Muskeln darauf nicht vorbereitet sind, kommt es beim Hallux valgus mit Schwächung der Tragefunktion zu Mittelfußschmerzen. Diese Art des Mittelfußschmerzes ist Teil der sogenannten Transfermetatarsalgie (lat. transferre = übertragen, metatarsus = Mittelfuß).
Auch die Gelenke der benachbarten Zehen können auf diese veränderten Belastungsverhältnisse reagieren. Es kommt zu Instabilitäten und einem verstärkten Verschleiß. Die Folge kann eine Arthritis mit deutlicher Reizung und Erguss im Gelenk sein. Im Verlauf führen die Schäden an den Kapsel-Bandstrukturen und der plantaren Platte zu Schmerzen und zu weiteren Fehlstellungen. Die Zehengrundgelenke können subluxieren oder luxieren (auskugeln). Außerdem drohen Fehlstellungen der Kleinzehen, z. B. Krallenzehen oder Hammerzehen und Spreizfüße verstärken sich.
Die überlasteten Strukturen haben aber durch ihre Veränderung auch weitere Auswirkungen auf die Muskelfunktion und die Funktion der Sehnen. Sehnendysfunktionen und Muskelungleichgewichte sind ein wesentlicher Teil der Erkrankung und verstärken Fehlstellungen zusätzlich.
Wie diagnostiziert der Arzt einen Hallux valgus?
Bei der klinischen Untersuchung des Fußes überprüft der Arzt die Stellung der Großzehe und der vier Kleinzehen. Die Innendrehung der Großzehe gibt Hinweise auf die Fehlstellung der Weichteile um den Mittelfußkopf, der überstehende Ballen am inneren Fußrand über die Verschiebung des Mittelfußknochens. Der Fußspezialist achtet darauf, ob ein Spreizfuß vorliegt, wie breit der Vorfuß ist und ob sich Hautveränderungen wie z. B. Schwielen gebildet haben. So kann eine kleine begrenzte Schwiele unter dem 2. Mittelfußkopf als klinisches Zeichen für eine Transfermetatarsalgie gelten und sollte unbedingt berücksichtigt werden.
Die Straffheit der Fehlstellung prüft der Arzt, indem er versucht, diese mit seinen Händen auszugleichen. Je weniger dies möglich ist, desto straffer (kontrakter) ist der Hallux valgus und desto geringer ist die Chance für den Erfolg einer konservativen Übungstherapie. Die Untersuchung von Beweglichkeit, Stabilität und Funktion der Großzehe gibt auch Aufschluss über die bereits vorhandenen Schäden im Gelenk.
Bildgebung und Podometrie bei Hallux valgus
Bei der radiologischen Untersuchung werden die Bilder einer belasteten Vorfußröntgenaufnahme analysiert. Die gemessenen Winkel und Fehlstellungen sind allerdings nicht 100 Prozent verlässlich, u. a. deswegen, weil es durch Projektionen zu Messfehlern kommen kann. Auch die funktionelle Seite wie Stabilitäten sind mittels Röntgenaufnahmen nicht nachzuweisen. Deshalb dient das Röntgen vor allem dazu, eine klinische Diagnose zu unterstützen.
Die Podometrie ist die einzige Methode, mit der man die wirkliche Druckverteilung beim Abrollen messen kann. Die Darstellung ist objektiv und weist die Schwäche des ersten Strahles zuverlässig nach. Zur Vorbereitung einer Operation sollte auf eine Podometrie nicht verzichtet werden. Auch nach der Operation ist die Untersuchung hilfreich: Mit ihr lässt sich kontrollieren, ob die Operation die Überlastung des Mittelfußes verbessert hat.
Die MRT-Untersuchung ist beim Hallux valgus nur bei bestimmten Fragestellungen sinnvoll. Darin können z. B. Knorpelschäden ebenso erkannt werden wie eine zusätzliche Erkrankung der Sesambeine. Auch die Beurteilung der Muskulatur ist mittels MRT möglich. Zudem kommen dadurch Begleiterkrankungen, die für Restbeschwerden verantwortlich sind, ans Licht. Dazu gehören z. B. das Morton Neurom, die Reizung von Nachbargelenken und freie Gelenkkörper.
Wie behandelt man einen Hallux valgus?
Konservative Verfahren sind bei der Behandlung des Hallux valgus nur begrenzt erfolgreich, können aber in weniger ausgeprägten Fällen versucht werden. Ihr Ziel ist es, die Schmerzen zu reduzieren und Entzündungen zum Abklingen zu bringen. Außerdem sollen die Fehlstellung und die Konflikte im Schuh behoben bzw. das Voranschreiten der Fehlstellung vermieden werden.
Am ehesten profitieren Kinder mit juvenilem, gering ausgeprägtem Hallux valgus von einer konservativen Therapie. Auch in der Phase zur Vorbereitung auf einen chirurgischen Eingriff sind konservative Maßnahmen hilfreich. Gleiches gilt für Fälle, in denen eine Operation kontraindiziert ist. Einzeln oder kombiniert zum Einsatz kommen dabei:
- Passendes Schuhwerk. Insbesondere auf Schuhlänge und eine dem Fuß angepasste Form ist zu achten. Außerdem sollte der Schuh ausreichend weit und nicht zu hoch sein.
- Orthesen und Einlagen. Spezielle Schienen korrigieren die Fehlstellung mechanisch und entlasten dabei die inneren Anteile der Gelenkkapsel. Sie werden über Nacht getragen. Tagsüber helfen Silikonorthesen oder Einlagen im Schuh.
- Fußgymnastik. Mit speziellen Übungen lassen sich Muskeln, Bänder und Sehnen stärken und der Fehlstellung entgegenwirken.
- Schmerzmittel. Bei Schmerzen helfen NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika).
Operation bei Hallux valgus
Oft reicht die konservative Therapie bei der Behandlung eines Hallux valgus nicht aus. Dann muss eine Hallux-valgus-Operation in Erwägung gezogen werden. Ziel ist es, die Fehlstellung zu korrigieren und die biomechanische Funktion des Gelenkes zu erhalten. Die Methoden wurden heute weitgehend standardisiert, es kommen Weichteileingriffe und Knocheneingriffe infrage.
Beim Hallux valgus interphalangeus ist oft nur eine Korrektur am Knochen notwendig. Bei den übrigen Hallux-valgus-Fehlstellungen werden Weichteil- und Knocheneingriffe individuell ausgewählt und kombiniert.
- Bei den Weichteileingriffen sollen die Weichteile um das Großzehendgrundgelenk herum normalisiert werden. Dafür löst der Fußchirurg verkürzte Sehnen oder Kapselanteile auf der Außenseite, strafft Kapselgewebe auf der Innenseite und verlagert Muskeln auf der Innen- oder Außenseite. Ob wie beim Hallux valgus des Kindes eine reine Weichteilkorrektur ausreicht oder ob zusätzlich Knocheneingriffe erforderlich sind, kommt auf den Einzelfall an und muss im Rahmen einer ausführlichen Voruntersuchung entschieden werden.
- Der Knocheneingriff kann an verschiedenen Stellen des ersten Strahles erfolgen. Erzielt werden sollen sowohl eine gute Stellung als auch eine gute Funktion der Gelenke. Auch die normalisierten Belastungsverhältnisse des Fußes sind ein gesetztes Ziel. Je nach Schwere werden eine Umstellungsoperation am Zehengrundgelenk (Akin-Osteotomie) oder am Mittelfußknochen vorgenommen. Manchmal muss das Tarsometatarsalgelenk zwischen Fußwurzel und erstem Mittelfußknochen auch versteift werden (Lapidus-Arthrodese).
Was sind Ursachen für gescheiterte Hallux-valgus-Operationen?
Die gescheiterte Hallux-valgus-Operation wird heute vor allem nach älteren Behandlungsmethoden wie der sog. Keller-Brandes-Operation oder der Operation nach Hüter beobachtet. Diese nicht gelenkerhaltenden Verfahren waren in Deutschland weit verbreitet, führen aber nach Jahren häufig zu erheblichen Beschwerden. Bei der Korrektur der Folgezustände kann auf zwei Methoden zurückgegriffen werden, um die Fehlstellung zu behandeln.